Der Krieg in der Ukraine wirkt sich hierzulande massiv auf die Wirtschaft aus. Sowohl aufgrund der kriegsbedingten Lieferengpässe als auch infolge der verhängten Sanktionen kommt es zu Einschränkungen, die auch die Automobilindustrie in Mitleidenschaft ziehen.
Betroffen sind vor allem die europäischen Autobauer, wobei die Auswirkungen unterschiedlich stark sind. Die Nachrichtenlage verändert sich infolge des Kriegsgeschehens nahezu täglich und doch lassen sich rund einen Monat nach Kriegsbeginn bereits einige grundlegende Aussagen treffen.
Wer heutzutage in ein Auto eines deutschen oder anderen Herstellers steigt, erwirbt ein rundum globales Produkt. Die einzelnen Komponenten stammen aus unterschiedlichen Staaten und Regionen und werden in den Werken der Autobauer montiert. Bereits im Rahmen von Corona waren Lieferketten unterbrochen oder es konnten bestimmte Fahrzeuge nicht oder nur verzögert vom Band laufen, schlichtweg, weil bestimmte Einzelteile fehlten. Bei Corona sprach man von der größten Krise der Autobauer seit dem Zweiten Weltkrieg, die sich in Kurzarbeit, abgesagten Automobilmessen und geringeren Umsätzen zeigte. 2020 lag der weltweite Auslieferungsrückgang bei 14,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr, manche Autobauer traf es dabei mit mehr als 20 Prozent besonders stark, andere wiederum profitierten.
Wohlgemerkt: die Corona-Krise ist keineswegs schon ausgestanden, doch bahnt sich seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs eine mindestens ebenso schwere Krise an. Goldman Sachs rechnet aufgrund der Krise mit einem Rückgang der weltweiten Automobilfertigung um zehn Prozent, doch noch tun sich selbst Expert*Innen mit validen Prognosen schwer. Es steht allerdings fest, dass die Rückkehr in den Normalbetrieb über einen langen Zeitraum verwehrt ist.
Warum das so ist? Ganz einfach, weil viele Automobilhersteller Bauteile aus der Ukraine oder aus Russland beziehen. Hinzu kommen die Folge der Sanktionen gegenüber Russland und damit einem Land, in dem einige Automobilhersteller Fabriken betreiben und dort produzieren bzw. produziert haben. Dass Russland auch als wichtiger Absatzmarkt wegfällt, ist ebenso bedeutend.
Steigende Energiepreise oder gar der mögliche Zusammenbruch der Energieversorgung mit russischem Erdgas haben selbstverständlich auch eine negative Auswirkung und infolge der steigenden Inflationsrate werden auch die Preise für Autos steigen und gleichzeitig die Attraktivität nachlassen, da auch die Spritpreise immer weiter steigen. Auch nicht außer Acht zu lassen ist die Bedeutung Russlands als Rohstofflieferant und Exporteur wichtiger Metalle.
Diese einzelnen Phänomene hängen natürlich zusammen und eignen sich, sowohl die Produktion von Autos als auch deren Auslieferung und den Absatz nachhaltig zu beeinträchtigen.
„Goldman Sachs rechnet aufgrund der Krise mit einem Rückgang der weltweiten Automobilfertigung um zehn Prozent“
Als wichtigstes Problem wird vielerorts das Fehlen von Zulieferteilen genannt. Die Lieferketten wurden in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten hinsichtlich der Preise optimiert, was sich jetzt rächt. Viele Zulieferbetriebe haben ihre Produktion unter anderem in die Ukraine oder nach Russland ausgelagert und vor allem Kabelbäume stammen aus der Ukraine und werden dringend benötigt. Schätzungen zufolge, sind zehn bis 15 Prozent der europäischen Automobilproduktion von der Versorgungsunterbrechung betroffen, da allein in der Ukraine 17 Betriebe die Kabelstränge herstellen, was das Land so wichtig macht.
In den ersten Kriegswochen stellte beispielsweise der große Automobilzulieferer Leoni den Betrieb in beiden Werken in der Ukraine ein. Die Folge waren Lieferengpässe für die oftmals als „Nervensysteme“ der Autos bezeichneten Bordnetzsysteme und Kabelbäume. Mittlerweile ist die Produktion wieder angelaufen, doch kann naturgemäß nicht sicher gesagt werden, ob dies langfristig anhält. Die Standorte befinden sich in Stryi und Kolomyia und damit im Westen des Landes, in dem bis Ende März 2022 nur wenig Kämpfe stattfanden.
Sowohl BMW als auch Volkswagen mussten zwischenzeitlich die Produktion drosseln oder gar herunterfahren, weil Kabelteile oder auch Kabelbäume nicht geliefert werden können. Bei BMW bedeutet der Lieferengpass bereits jetzt, dass sich die Produktion des neuen 2er Active Tourers mit den Motoren 220i und 223i verschiebt. Ähnliches gilt auch für die BMW-Tochter MINI, die am Stammwerk Oxford gleich vier Tage pausierte.
VW-Tochter Skoda hat das Werk in der Ukraine komplett geschlossen und die Produktion des Elektro-SUV Enyaq iV in Tschechien eingeschränkt und auch die Herstellung des Porsche Taycan wurde auf unbestimmte Zeit unterbrochen.
Natürlich lassen sich Produktionsstandorte auch verlagern. Bei den Kabelbäumen sind bereits jetzt Rumänien, Serbien und die Slowakei Produktionsstätten und auch in Tunesien, Marokko und Ägypten laufen die wichtigen Einzelteile vom Band. Eine Verlagerung der Kapazitäten aus der Ukraine lässt sich allerdings erst nach Monaten bewerkstelligen und auch das kostet natürlich viel Geld. Glücklicherweise sind einige Automobilhersteller bereit, sich an den Kosten zu beteiligen und zeigen sich somit solidarisch.
Neben den Problemen, die sich vor allem direkt am Standort Ukraine zeigen, sind auch die Geschäftsbeziehungen zu Russland relevant. Die Sanktionen seitens der Europäischen Union (EU) sorgen dafür, dass an den russischen Standorten nicht mehr für europäische Autobauer produziert wird. ZF hat zum Beispiel die Lieferung von Teilen an das deutsch-russische Joint Venture ZF Kama eingestellt, was sich auf die LKW von Daimler Truck auswirkt. Volvo produziert keine LKW mehr in Russland und verkauft diese auch nicht mehr im Land und bei Ford ist aufgrund der Kündigung eines Joint-Ventures der Bau des Transits gefährdet. Auch der Transporter rollte bislang in Russland vom Band, was nun nicht mehr der Fall ist.
Vergleichbares lässt sich auch von den anderen Automobilherstellern vermelden, die bis dato in Russland aktiv waren. VW produziert nicht mehr, Toyota hat seine Produktion in St. Petersburg beendet, BMW die Montage in Kaliningrad eingestellt. Bislang spricht keines der genannten Unternehmen von einem dauerhaften Ende der Kooperation, doch je länger der Ukraine-Krieg andauert, desto notwendiger wird das Umschwenken auf Produktionskapazitäten in anderen Ländern. Insgesamt befinden sich in Russland 34 Produktionsanlagen für Fahrzeuge, die allerdings in aller Regel den inländischen Markt beliefern. Die Produktion lag laut Center of Automotive Management (CAM) im Jahr 2020 bei 1,4 Millionen Fahrzeugen.
Besonders betroffen vom Ukraine-Krieg ist der französische Autobauer Renault. Der Grund liegt einerseits daran, dass der Hersteller gemeinsam mit Nissan und Mitsubishi mit rund einem Drittel Marktanteil einer der wichtigsten Autoanbieter in Russland ist, andererseits aber auch im Besitz des russischen Unternehmens Avtovaz mit der bekannten Marke Lada. Die Lada-Fabrik in Togliatti ist die größte Automobilproduktion Russlands und könnte ebenso vor dem Aus stehen wie die bereits eingestellte Produktion im Renault-Werk Moskau.
Russland war für die Automobilindustrie nicht nur Produktionsstandort, sondern galt vor dem Krieg auch als einer der wichtigsten Zukunftsmärkte. Weltweit landete das Land auf dem achten Rang der größten Absatzmärkte, wobei vor allem Hyundai/ Kia aber auch Lada mitsamt Renault, Nissan und Mitsubishi sowie Volkswagen beliebt sind. BMW und Mercedes-Benz liegen bei einem Marktanteil von jeweils drei Prozent.
Eine Beeinträchtigung der Geschäftsbeziehungen zu Russland kann weitreichende Folgen haben. Primär geht es um die Automobilwerke und wegbrechende Absätze, doch ebenso relevant ist die Versorgung mit Rohstoffen und Metallen. Für Palladium ist Russland der weltgrößte Exporteur und dieses Metall ist unverzichtbar, wenn es um die Produktion von Halbleitern geht. Ebenfalls stammt jede Menge Kupfer und Aluminium aus Russland und schon jetzt sprechen Experten von geringen Lagermengen in Europa.
Ein im Kontext des Ukraine-Kriegs ebenfalls viel beschworenes Szenario ist der Lieferstopp für russisches Erdgas bzw. ein Erdgas-Boykott. Die Folgen wären vor für die energieintensive Automobilbranche ebenso gravierend wie für viele Zulieferbetriebe. Folgt man einer Umfrage des BDI vom März 2022, so betrachten 88 Prozent der deutschen Industrieunternehmen die steigenden Energiepreise als starke Herausforderung oder sogar Bedrohung ihrer Existenz. In diese Einschätzungen wurde noch nicht einmal ein drohender Lieferstopp aus Russland einbezogen, d.h. ein Wegfall russischen Erdgases dürfte der Autoindustrie zusätzliche Probleme bereiten. Diese beziehen sich nicht nur auf die Primärenergie, sondern auch auf eine hier und da befürchtete Stromknappheit.
All die genannten Probleme, vor allem aber die Energieknappheit treiben die Inflation in Deutschland und der EU in die Höhe. Die Spritpreise gehen – salopp formuliert – durch die Decke und das Autofahren wird immer teurer. Zwar hat die Bundesregierung bereits Entlastungspakete angekündigt, doch lässt sich daran zweifeln, dass die Preise für Benzin und Diesel wieder auf ein Vorkriegs- und Vor-Corona-Niveau zurückkehren.
Für die Elektromobilität, die sich derzeit im Aufschwung befindet, existieren noch nicht ausreichend Ladesäulen und auch der Strom muss erst einmal erzeugt werden. Steigende Kosten für Benzin und Diesel sowie Erdgas führen unweigerlich auch hier zur Verteuerung.
Der Ukraine-Krieg wirkt sich in vielerlei Hinsicht auf die Automobilbranche aus. In erster Linie sind die Automobilbauer von den Engpässen seitens der Zulieferer betroffen. Konkret bedeutet dies, dass viele Einzelteile nicht mehr bezogen werden, was vor allem bei Kabelbäumen aus der Ukraine der Fall ist. Auch zu nennen ist in diesem Kontext die anhaltende Problematik im Bereich der Halbleitertechnik.
Hinzu kommen die Sanktionen gegen Russland und damit gegen einen für manche Automobilhersteller wichtigen Produktionsstandort. Ganze Fabriken werden geschlossen und bestehenden Kooperationen gekündigt. Dass im selben Atemzug auch der russische Absatzmarkt wegfällt, versteht sich von selbst. Das Problem im Umgang mit Russland zeigt aber auch in der Energieversorgung und der Belieferung mit Metallen wie Palladium, Kupfer und Aluminium Folgen. Diese zeigen sich erst mittel- und langfristig, sind aber für eine intakte Automobilproduktion nicht zu unterschätzen.
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